18. Geburtstag

 

Endlich frei. Endlich tun können, was man will. Das Mädchen fiebert auf den Tag hin, in der Hoffnung, dass sich dann vieles ändert. Immerhin ist es dann das Gesetz, welches dem Mädchen Möglichkeiten eröffnet.

Auch Mama fiebert dem Tag entgegen, aber immer mit ein wenig Bedauern und Zweifeln. Ihr kleines Mädchen gehöre dann nicht mehr ihr, sagt sie. Und ob das Mädchen überhaupt versteht, was es bedeutet, die Verantwortung für sich übernehmen zu müssen.

Das Mädchen findet das Wort „gehören“ unpassend. Es gehört niemanden, es ist doch kein Auto. Und Verantwortung? Wie viel schlimmer soll es denn noch werden, immerhin übernimmt das Mädchen schon lange Verantwortung, auch für Dinge, die es nicht getan hat, damit es Mama gut geht und Papa nicht böse wird.

Eine große Feier wird nicht veranstaltet werden, sagen Mama und Papa. Das Mädchen wäre jetzt 18, es könne also selbst entscheiden, was es machen möchte, wie es den Geburtstag feiern möchte, aber nicht zu Hause im Elternhaus als Party bis in die Nacht hinein. Das stört Mama und Papa.

Am Geburtstagsmorgen weiß das Mädchen schon was kommt. Bestimmt wieder zum einen der Hinweis, dass es noch gar nicht Geburtstag hat, weil es erst nach 09:00 Uhr geboren wurde, worauf das Mädchen, wie jedes Jahr sagt, dass man einen Geburtstag und nicht eine Geburtsstunde feiere.

Dieser Einleitung folgt Mamas Geschichte, wie schwer es war, dass das Mädchen überhaupt auf die Welt kommen könnte und dass es auch in gewisser Weise ihr Ehrentag wäre, weil ohne sie das Mädchen ja gar nicht da wäre. Die Augenbrauen darf das Mädchen aber nur innerlich hochziehen, sofern es die Stimmung nicht gleich am Morgen schon versauen will.

Am späten Nachmittag kommen ein paar Freunde und Freundinnen, dann will man gemeinsam zum Italiener im Nachbarort zum Essen gehen. Mama und Papa sind damit nicht ganz einverstanden, weil sie so gar nicht gefragt werden, wie sie sich den wichtigen Geburtstag des Mädchens vorstellen.

Das Mädchen denkt sich, dass es nicht gefragt hat, stimmt, aber dass Mama und Papa klargemacht haben, was das Mädchen auch mit 18 im Elternhaus nicht darf, das hat es nicht vergessen.

Die Freunde kommen und man sitzt im Zimmer des Mädchens zusammen. Wie immer kommt Mama irgendwann ungefragt ins Zimmer. Neu ist, dass sich daran niemand stört. Man lacht weiter. Einige der Freunde sitzen auf der Couch, einige liegen bei dem Mädchen im Bett, auf der Tagesdecke. Man lacht, schäkert und grüßt höflich, aber kurz.
Mama schüttelt den Kopf, guckt das Mädchen strafend an und das Mädchen denkt sich, dass es jetzt einfach keine Lust hat. Nicht heute. Nicht an seinem 18. Geburtstag.

Später brechen alle auf und man fährt zum Italiener, um dort zu essen. Das Mädchen kommt erst nach Mitternacht nach Hause und niemand kann was sagen.

Am nächsten Tag folgt die Standpauke. Es hat sich nichts geändert.

Die Freunde wären zu laut und zu unhöflich gewesen. Mama wäre nicht formvollendet begrüßt worden, als sie in das Zimmer des Mädchens gekommen wäre. Warum man überhaupt auf dem Bett herumgelümmelt wäre, ob das Mädchen jetzt ihren Anstand komplett über Bord geworfen hätte?

Und dann einfach abhauen und zum Italiener gehen, auch hier hätten sich die Gäste nicht formvollendet von Mama und Papa verabschiedet. Sie wären im Wohnzimmer gesessen. Seit wann ein „Tschüß, bis später!“ in diesem Hause üblich wäre.

Wenn das die Personen sind, mit denen sich das Mädchen weiter oder von jetzt an abgeben will, dann „gute Nacht“ sagen Mama und Papa.

Das Mädchen ist grundgenervt. Es war mit Freunden in seinem Zimmer. Die Freunde kennt Mama und Papa. Was soll so schlimm daran sein, wenn einige auf dem Bett herumsitzen? Und irgendwann ist es doch auch einfach nur noch lächerlich, die ja nun per Gesetz erwachsenen Freunde in Wohnzimmer der Eltern zu führen, damit diese dann formvollendet begrüßt würden.

Einen kleinen Teil dieser Gedanken formuliert das Mädchen zu Worten und spricht diese aus. Was für ein Fehler.

Es ist alles so wie es das Mädchen kennt, ganz gleich, ob es nun 18 ist oder nicht.
Nur das Argument ist neu. Früher hieß es immer, dass das Mädchen noch nicht volljährig ist.
Jetzt heißt es, so lange das Mädchen zu Hause wohnen würde, hätte es sich auch an die Regeln von Mama und Papa zu halten, denn immerhin wäre es ja ihr Haus.

Das Mädchen fühlt sich elend, aber nicht mehr zerstört. Es ist jetzt volljährig. Der Staat gesteht dem Mädchen Rechte zu, die die Eltern dem Mädchen versagen wollen.
Und das Mädchen denkt sich: So nicht.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Geburtstag

Im Zug

Gummistiefel