Abschlussfahrt
Das Mädchen ist nun schon in der 12. Klasse. Am
Ende der 12. Klasse steht die Abschlussfahrt an. Dann kommt nur noch die K13, die
letzte Klasse vor dem Abitur.
Es stehen 2 verschiedene Ziele zur Auswahl. Das Mädchen würde mit nach Griechenland
fahren. Die Reise kostet 800DM.
Ja, sagen Mama und Papa, natürlich könne es mit auf die Abschlussfahrt, wenn das
Mädchen sich das leisten könne.
Etwas verdutzt fragt das Mädchen, ob es die Abschlussfahrt selbst zahlen solle.
Ja, sagen Mama und Papa. Das Mädchen wäre ja jetzt 18, würde arbeiten, ordentlich
verdienen und könne entscheiden, ob es genug Geld sparen könne, um auf die Abschlussfahrt
zu gehen.
Das Mädchen sagt, dass sie nicht so viel Geld sparen kann. Viel von dem gesparten
Geld ist ja für den Führerschein verwendet worden.
„Tja Kind“, sagt Mama, „so ist das im Leben. Man kann nicht alles haben.“
Mama und Papa würden auch nicht in den Urlaub fahren und dem Mädchen einfach so
800DM geben, das wäre einfach nicht drin.
Papa würde hart arbeiten, aber man hätte ihn schon wieder mal um seine Provision
betrogen und das Geld wäre einfach nicht da.
Das Mädchen sagt, dass es nicht so viel sparen könne in so kurzer Zeit, weil es
von dem Geld, was es sich erarbeitet, ja auch die Kleidung, die Kosmetik, die Freizeitaktivitäten
und das alles bezahlen müsse.
Es wäre die Entscheidung des Mädchens, sagen Mama und Papa. Entweder, das Mädchen
wäre in der Lage mal ein paar Monate auf Schminke, neue Kleidung und Ausgehen zu
verzichten, dann könne es genug sparen um mit auf die Abschlussfahrt zu gehen, oder
eben nicht.
Das Mädchen ist verzweifelt. Es überlegt hin und her, aber allein kann es diese
Summe in der kurzen Zeit bis zur Abifahrt nicht zusammensparen.
Das Mädchen weiß, dass die Schule anbietet, einen Teil der Kosten zu übernehmen,
wenn es die Familie nicht so dicke hat. Ob das eine Möglichkeit wäre, fragt das
Mädchen.
Oh, das gibt wieder ein Donnerwetter.
Was dem Mädchen überhaupt einfallen würde, eine solche Frage zu stellen.
Ob es sich vorstellen könne, wie peinlich das für Mama und Papa wäre, das gegenüber
der Schulleitung zugeben zu müssen. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Warum Mama
und Papa anfangen sollten zu betteln, wenn es doch um die Abschlussfahrt des Mädchens
gehen würde.
Sie wollen ja nicht wegfahren, es ist ja das Mädchen, was wegfahren muss. Das Mädchen
bettelt. Alle würden fahren, sie wäre dann die Einzige, die zu Hause bleiben würde.
Mama und Papa sagen, dass ihre Tochter nicht „alle“ wären und dass man auch nicht
immer überall dabei sein muss.
Ob sich das Mädchen das Geld leihen könne, um es dann Stück für Stück zurückzuzahlen,
fragt es.
Nein, auch das komme nicht in Frage. Das Mädchen solle lernen, dass man sich eben
nur die Dinge leisten kann, für die man das Geld hat und dass sie gar nicht erst
anfangen soll, über geliehenes Geld nachzudenken.
Als die Listen für die Abschlussfahrten eingesammelt werden, steht das Mädchen auf
keiner der Listen. Es wird gefragt, warum es sich nicht eingetragen habe. Es ist
dem Mädchen peinlich, sagen zu müssen, dass sie nicht mitfahren kann, weil sie das
Geld nicht hat.
Die Lehrer sagen, dass doch dann die Schule einspringen kann, wenn die Eltern ein
entsprechendes Formular ausfüllen würden. Das Mädchen sagt nur, das ginge nicht.
Es will nicht erklären, dass es das selbst schon vorgeschlagen hat. Es will nicht
sagen, dass Mama und Papa es demütigend finden, um etwas betteln zu müssen.
Das Mädchen schweigt. Die Lehrer finden es unpassend, wie sich das Mädchen, was
oft genug seltsam ist, jetzt auch noch ganz bewusst aus der Klassengemeinschaft
herausnimmt.
Die Klasse fährt. Das Mädchen bleibt zu Hause. Die Klassenfahrt findet am Ende der
Sommerferien und zu Beginn des letzten Schuljahres statt.
Es arbeitet im Stadtcafé und genießt die Zeit mit ihrem Freund.
Oft sagen Mama und Papa: „Siehst Du, es ist doch auch schön zu Hause. Auf deinen
Freund zu verzichten wäre doch für dich auch nicht schön gewesen, oder?“
Als die Kollegstufe wieder zurück ist, beginnt auch für das Mädchen die Schule wieder.
Jeder fragt sie, wie es ihr auf Klassenfahrt gefallen hat. Weil es zwei Gruppen
gab, denkt jeder, der in der einen Gruppe war, dass das Mädchen ja dann in der anderen
Gruppe gewesen sein muss. Jedes Mal muss das Mädchen erklären, dass es gar nicht
dabei war. Warum denn das, wird es gefragt.
Das Mädchen ist genervt und traurig und findet alles blöd.
Die ist doof, sagen die anderen. Aber das war sie ja schon immer, sagen sie.
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