Auszug
Als
das Mädchen 19 ist, zieht es aus. Die erste eigene Wohnung, zusammen mit dem Freund.
Weg aus dem kleinen Ort, in die Stadt.
Mama und Papa sind nicht begeistert. Ob das sein müsse, ob das Mädchen es zu Hause
nicht guthaben würde? Mama sagt, dass sie dann ja ganz allein ist.
Obwohl der Entschluss feststeht und das Mädchen ja immer seinen Kopf durchsetzt,
wie Mama und Papa sagen, gibt es viele Diskussionen. Das Mädchen muss darlegen,
warum es jetzt ausziehen will. Alle Argumente, die das Mädchen auf den Tisch legt,
werden von diesem gewischt.
Die eigene Wohnung nach den eigenen Wünschen gestalten? Hier hätte das Mädchen ein
eigenes Zimmer, das würde doch reichen.
Frei sein in der Tagesplanung? An welchen Zeitplan es sich denn im Elternhaus hätte
halten müssen?
Freund einladen, wann immer es möchte? Als ob das zu Hause nicht auch jederzeit
möglich gewesen ist.
Näher an der Uni sein, wo das Mädchen studiert? Der Weg durch die Stadt würde ungefähr
genauso lange dauern, wie vom Ort zur Uni.
Freunde zum Essen einladen und gemeinsam kochen? Das Mädchen könne nicht kochen
und für das Geld, was das Mädchen dann als Miete zahlt, könne es doch mit den Freunden
wieder zum Italiener gehen und die Freunde sogar alle einladen. Wenn das Mädchen
einmal pro Monat alle Freunde einlädt und alles zahlt, dann würde es bestimmt auch
mehr Freunde haben.
Mit dem Freund zusammenleben wollen? Als ob dieser nicht im Elternhaus auch ein-
und ausgegangen ist.
Irgendwann findet das Mädchen es mehr als anstrengend, Argumente für einen eigenen
Entschluss bringen zu müssen, die sowieso nicht gehört werden.
Der Tag des Auszugs kommt und mit ihm die Helfer und Helferinnen. Mama und Papa
sind gestresst. So viele Leute, die dauernd die Treppe hinauf- und herunterlaufen.
Die machen Lärm und begrüßt hätten diese Mama und Papa auch nicht ordentlich.
Während das Zimmer des Mädchens leergeräumt wird, sagt Mama immer, dass das Mädchen
sich glücklich schätzen kann, dass es die Möbel aus seinem Zimmer mitnehmen darf.
Immerhin hätten Mama und Papa die Möbel gezahlt, aber man wolle mal nicht so sein.
Mama betont, dass sie die Möbel durchaus auch gut gebrauchen könnte, denn das Zimmer
des Mädchens soll ihr Atelier werden.
Noch während die Habseligkeiten des Mädchens aus dem Jugendzimmer geräumt werden,
beginnt Mama ihre Sachen im Zimmer des Mädchens zu verstauen, den großen Maltisch
aufzubauen, ihre Farben und Paletten zu platzieren.
Sie erklärt, wo Papa ein Regal für das Papier bauen wird und was sie alles im Zimmer
verändern wird.
Das Mädchen ist auf der einen Seite ein wenig vor den Kopf gestoßen, auf der anderen
Seite versteht sie es.
Mama bemerkt, dass das Mädchen nicht vollkommen begeistert ist und hakt ein. Was
das Mädchen denn gedacht hätte? Ob es der Meinung war, man würde die Ruine von Zimmer,
die es hinterlässt, einfach so stehenlassen. Ob das Zimmer seiner Meinung nach ungenutzt
bleiben soll?
Mama verdeutlicht, dass das Mädchen mit ihrem Entschluss, das Elternhaus zu verlassen
auch die Möglichkeit des Zurückkommens aufgibt. Nein, es gibt kein Zimmer im Haus
der Eltern mehr, in welchem das Mädchen Platz finden wird. Das hätte es sich vorher
überlegen müssen.
Niemand hätte das Mädchen hinausgeworfen, es wäre der Entschluss des Mädchens gewesen,
nun solle es mit den Konsequenzen leben.
Gut, denkt sich das Mädchen, ich will auch gar nicht mehr zurück. Dennoch schmerzt
es, zu hören, dass man nicht mehr willkommen ist. Aber hat das Mädchen sich je willkommen
gefühlt? Nicht drüber nachdenken, einfach weg.
Mama bemängelt, dass das Mädchen ja auch die Nähmaschine mitnimmt und jammert, dass
sie nun auf „ihre“ Nähmaschine verzichten wird müssen. Na ja, immerhin hat sie jetzt
ein großes Zimmer für ihre Malerei.
Am nächsten Tag erhält das Mädchen einen Anruf. Man habe gesehen, dass an einer
Treppenstufe etwas kaputtgegangen wäre. Man hätte einen tiefen Kratzer bemerkt.
Das Mädchen könne die Freunde fragen, wer das gewesen ist. Die Freunde müssten eine
Haftpflichtversicherung haben.
Sollte das Mädchen nicht herausfinden, wer den Schaden an der Treppenstufe verursacht
hat, möchten Mama und Papa dennoch, dass dieser repariert wird. Dann müsse das Mädchen
die Reparatur eben selbst bezahlen. Das wäre das Mindeste, denn, wie bereits gestern
erwähnt, hätte das Mädchen ja ein unbewohnbares Zimmer hinterlassen, welches Mama
jetzt mit Papa zusammen erst noch herrichten müsse.
Das Mädchen sagt nichts und schluckt die Widerworte wieder einmal hinunter.
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