Vorführen beim Kennenlernen

 

Das Mädchen versucht, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Es will mit dem Ehemann sprechen, es will keine weiteren Scherben verursachen, es will nicht, dass nur verbrannte Erde bleibt.

Das Mädchen möchte auch mit Mama und Papa sprechen, aber Mama und Papa haben kein Interesse. Das Mädchen würde sich schon etwas dabei gedacht haben, jetzt solle es nicht jammern.

Mit dem neuen Mann kann das Mädchen viel reden. Er lässt die Dinge stehen, wie sie sind, er glaubt dem Mädchen und hört ihm zu. Ab und zu ruft Mama an, weil sie Fragen hat. Wer der neue Mann wäre, was er beruflich machen würde, woher er käme, wo das Mädchen ihn kennengelernt habe, wie alt er sei.

Das Mädchen will genau diese Dinge erklären. In Ruhe, im Elternhaus, mit Mama und Papa. Nein.

Mama ist entsetzt, weil der neue Mann 8 Jahre älter ist als das Mädchen. Da müsse etwas faul sein mit ihm, wenn er sich an eine so junge Frau heranmacht und noch nicht verheiratet ist.
Das Mädchen ist wütend. Schon wieder werden Schubladen aufgezogen, ohne dass das Mädchen auch nur etwas zur Kommodenfarbe sagen darf.

In den kommenden Wochen versucht das Mädchen immer wieder, die Eltern dazu zu bewegen, dass sie sich die Sichtweise des Mädchens ansehen. Unter Umständen geht es spontan?

Das Mädchen ist an einem Sonntag mit dem neuen Mann unterwegs und er schlägt vor, jetzt einfach bei den Eltern des Mädchens vorbeizufahren. So schlimm könne es doch gar nicht sein. Das Mädchen rät ab. Keine gute Idee. Aber es ruft zu Hause an und sagt, man wäre gerade in der Nähe und könne vorbeikommen.
Nein, sagen Mama und Papa. Das würde sie überfordern. Sie wären noch nicht bereit, sich der ganzen neuen vertrackten Situation zu stellen, das Mädchen solle aufhören, ständig nachzufragen und Mama und Papa zu etwas drängen zu wollen. Man wolle diesen Mann nicht sehen.

Ein paar Wochen später ruft Mama an. Sie wäre grundsätzlich aufgeschlossener als Papa. Papa wäre sehr wütend und es wäre zurzeit auch für das Mädchen das Beste nicht im Elternhaus aufzutauchen.

Aber Mama sehe ein, dass es dem Mädchen wichtig wäre, und Mama schlägt einen Kompromiss vor. Man könne sich zu einem gemeinsamen Abendessen in einem Restaurant treffen, dann wäre Mama bereit, einen Blick auf den neuen Mann zu werfen.

Das Mädchen fragt den neuen Mann, seinen neuen Mann, den Fels im Leben des Mädchens, der er jetzt schon ist, ob das in Ordnung geht. Natürlich sagt der Mann, er habe kein Problem.

Der Abend kommt und man trifft sich im Restaurant. Mama ist tatsächlich allein dorthin gekommen und auch allein gefahren und Mama ist zu früh dran. Mama sitzt also schon an dem Tisch, als das Mädchen und der neue Mann eintreten.
„Wie eine Königin, die Audienz gewährt.“ – denkt sich das Mädchen.

Mama begrüßt den Mann sehr unterkühlt. Sie reckt das Kinn und zieht die Augenbrauen hoch. Das kennt das Mädchen schon. Das macht Mama immer, wenn sie der Meinung ist, dass sie die Sachlage besser beurteilen kann und wenn Mama ihr Urteil schon gefällt hat.

Der Mann lässt sich davon nicht einschüchtern. Ruhig und mit offenem Blick beantwortet er geduldig alle Fragen von Mama.

Da sagt Mama, man müsse jetzt Klartext reden. Das Mädchen darf danebensitzen, wird aber weder angesehen noch gehört.
Mama guckt dem Mann in die Augen und sagt, dass der Mann bestimmt nur Sex wolle von ihrer Tochter und dass eine gute Beziehung schon etwas mehr bräuchte als nur Sex.

Das Mädchen möchte im Erdboden verschwinden, es wünscht sich ein großes Loch, in das es einfach kriechen kann. Der Erdboden tut sich nicht auf und das Mädchen kann auch nicht verschwinden.

Der Mann bleibt ruhig. Er nimmt Mama ernst und sagt, dass ihm das durchaus bewusst wäre und was Mama denn denke, warum er mit dem Mädchen zusammen ist? Ob Mama denke, dass ihre Tochter nicht viel mehr zu bieten hat?
Der Mann sagt, dass, wenn Mama so etwas denkt, es viel mehr über ihr Denken über Beziehungen aussagt als über den Mann, den sie gerade damit konfrontiert.

Das Mädchen schluckt. Es kann sich nicht erinnern, dass jemals jemand mit Mama so gesprochen hat. Dabei ist der Ton ruhig, die Körperhaltung des Mannes gelassen und er sieht gar nicht so aus, als ob er sich angegriffen fühlen würde.

Als Mama merkt, dass sie den Mann nicht provozieren kann, legt Mama eine andere Schallplatte auf. Plötzlich schmeichelt sie dem Mann und findet auf einmal Dinge, die sie ganz hervorragend an ihm findet.

Innerlich schüttelt das Mädchen nur den Kopf? Was soll denn das jetzt? Es sind keine 5 Minuten vergangen. Mama kann den Mann noch nicht kennengelernt haben. So unsinnig die Ablehnung vorher war, so dumm ist die Schmeichelei jetzt.

Der Mann bleibt höflich und aufgeschlossen, aber er lässt sich von Mama nicht einwickeln.

Da erzählt Mama von Papa. Wie schwer es Mama in den letzten Wochen hatte, wie sehr sie ihre Tochter vermisst hätte, dass sie zu Hause die Wogen glätten müsse, weil der Papa des Mädchens so ungeheuer wütend wäre. Sie hätte ja einem Kennenlernen schon viel früher zugestimmt, wenn da nicht Papa wäre.

Der Mann weiß, dass das nicht alles stimmt, denn er hat es ja in den letzten Wochen selbst miterlebt. Er lässt es sich nicht anmerken, er bleibt souverän und cool.
Das Mädchen verliebt sich in diesem Moment noch mehr in den Mann.

Als das Treffen zu Ende ist, hat das Mädchen ein wenig Angst. Ob der Mann es noch mag? Jetzt, wo er sich so hat behandeln lassen müssen? Es wäre nicht verwunderlich, wenn es so wäre wie mit den Freunden früher, wenn er jetzt nichts mehr mit dem Mädchen zu tun haben wollen würde.
Der Mann lacht und sagt, das Mädchen wäre doch nicht seine Mutter. Wer oder wie die Mutter des Mädchens ist, wäre dem Mann egal. Er sei an dem Mädchen interessiert, nicht zwingend an deren Familie.

Das ist alles neu und es fühlt sich so gut an. Irgendwie geborgen.

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