Peinlich
Das Mädchen nimmt ab. Immer mehr. Die Rückmeldungen aus der
Umwelt sind zunächst positiv. Bis es offensichtlich wird. Da stimmt was nicht. Mama
wird daraufhin von den Leuten angesprochen. Das gefällt ihr gar nicht und sie
konfrontiert das Mädchen damit. Jetzt auch noch eine Essstörung. Wunderbar. Das
Mädchen muss zum Psychiater. Immer mittwochs, nach der Schule. Die Zeit
zwischen Schule und Gesprächstherapie verbringt sie in der ortsansässigen Bücherei.
Da kann es lesen und schon einmal mit den Hausaufgaben anfangen. Dann muss das
Mädchen mit dem Psychiater reden und sich jedes Mal auf die Waage stellen. Dann
fährt es mit dem Bus nach Hause und macht Hausaufgaben. Das alles macht das
Mädchen allein. Der Psychiater schlägt eine Familientherapie vor, aber da sind
Mama und Papa strikt dagegen. Also Mama sagt, sie würde ja eventuell, aber Papa
wolle das gar nicht. Diesen Makel auch noch als Familie zu tragen, käme überhaupt
nicht in Frage. Schließlich habe ja das Mädchen ein Problem, nicht Mama und
Papa. Als das Mädchen ins Krankenhaus muss, ist die erste Anlaufstelle das
Krankenhaus im Wohnort. Mama ist verzweifelt, denn an der Aufnahme arbeitet
eine Nachbarin. Die bekommt dann ja alles mit. Was das Mädchen den Eltern antut
und womit sie das verdient haben, wird es gefragt.
Die Stunden mit dem Therapeuten sind öde. Das Mädchen findet ihn doof.
Irgendwie wirkt er, als ob er irgendwelche Fragen abarbeiten muss. Einmal trägt
das Mädchen selbst gemachte Ohrringe in Bananenform. Der Psychiater stellt das
fest und fragt das Mädchen, ob es denn gerne Bananen esse, weil es diese sogar
in den Ohren trage. Oh Mann, denkt sich das Mädchen. Die einzige Möglichkeit
diesen öden Stunden und dem Überbrücken der toten Zeit zu entkommen ist es,
zuzunehmen. Der Psychiater setzt ein zu erreichendes minimales Gewichtsziel.
Wenn das Mädchen dieses erreicht hätte, dann wäre es gesund. Und das Mädchen
erreicht das Ziel und geht nie wieder zu einem Psychiater. Gesund wird es erst
Jahre später. Das schafft es allein.
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